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Mittwoch, 17. Oktober 2012

10/18/2012

Ein Versuch, über dieses Konzert zu berichten. Obwohl man eher Gedichte schreiben sollte über diesen Abend auf Kampnagel, oder aber auch nur ergriffen schweigen, denn es war wundersam, was wir dort erleben durften. Und ich hatte noch befürchtet, dass es den Tallest Man On Earth entzaubern könnte, wenn man ihn in Persona vor sich hat, hatten seine Alben doch diese zauberhafte Found-Footage-Aura – Fundstücke aus einer weit zurückliegenden Zeit oder einer Lichtjahre entfernten Welt. Komisch, dass aus dieser Erscheinung nun ein Mensch werden sollte. Und würden die Besucher schweigen können? Welch grausige Vorstellung, dass irgendwer diese fragilen Folksongs zerlabert! Ich war skeptisch, doch ich blieb es nicht lange.

Die Location alleine schon! Da die Kampnagel-Halle eher ein Theatersaal ist – bestuhlt und bevorhangt – breitete sich schon vor dem ersten Ton die richtige Stimmung aus. Die Instrumente und Verstärker warteten in einer Insel aus Licht, vor dem schwarzen Vorhang und da schon begann ich Großes zu erhoffen.

Es ging schon mit Daniel Norgren beeindruckend los, der den Einheizer gab und – Boy! – heizte er ein. Dieser Country war so dreckig, dass er bleibende Spuren hinterließ. Super auch seine zwei Mitmusiker: der Typ am Kontrabass – eher Muppet als Mensch – und Organist Pelle, der kam und ging, wann er wollte und irgendwann mit einem Tambourin einen ekstatischen Tanz hinlegte und damit für Sekunden die Halle zum Fußballstadion umfunktionierte.

Nach der Umbaupause blieb dann nichts auf der Bühne zurück, als eine einsame Gitarre, ein Stuhl, ein E-Piano. Sah fast so aus, als wolle der Tallest Man das DIng heute alleine durchziehen. Dann wurde es dunkel, eine Art schwedischer Schlager erklang, die Insel aus Licht tauchte wieder auf und am Rande dieser Insel dann der Tallest Man On Earth, der sich ungläubig wie ein aufgeschreckte Elf dem Publikum näherte. “Elf” ist sowieso das Stichwort – wenn man Kristian Matsson in seiner muskulösen Winzigkeit so sieht, gewinnt der Künstlername nochmal an Witz. Dann stöpselt er die Gitarre ein und es geht riesig los – und wird nicht kleiner.

Dieser Typ braucht keine Band, er ist eine Band. Er gibt den Verführer, den Clown, den Kindskopf, den Exzentriker, den Introvertierten, oftmals alle innerhalb eines einzigen Songs. Und er erzeugt mit einem Instrument und seiner Stimme einen Sound, der so voll und satt ist, dass jeder weitere Musiker hier bloß zu viel wäre. Die meisten Jungs mit Gitarre und Klavier würden sicher absaufen, doch er ist ein stolzes Schiff und er nimmt uns mit über die Gewässer. Nie war ich bei einem Konzert den Tränen und dem Freudengelächter gleichzeitig so nahe.

Dieses Timing! Sein Gitarrenspiel! Diese Stimme! Die Songs! Alles Klassiker, zumindest in einer besseren Welt. Ach, ich fürchte, ich komme diesen Worten nicht mal dem nahe, wie nah mir dieser Abend gegangen ist. Ich hätte wohl wirklich lieber ein Gedicht schreiben sollen.

The Tallest Man On Earth ist der derzeit größte Songwriter auf diesem Planeten. Ich würde mich jederzeit in meinen Cowboystiefeln auf Bob Dylans Couchtisch stellen, um es allen zu verkünden.

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