Man hatte uns gewarnt und leider Recht behalten: die Alsterdorfer Sporthalle besitzt den Charme eines Gefängnisses. Sofort kommen unangenehme Erinnerungen hoch an demütigende Sportstunden, mit “Als Letzter in die Mannschaft gewählt werden” und allem, was man sich unter traumatischem Sportunterricht vorstellt. Ein weiterer Wermutstropfen sind die zahlreichen Fress- und Verkaufsbuden. Selten einen so durchkommerzialisierten Veranstaltungsort gesehen. Sei’s drum – wir sind ja nicht hier um zu Architektur, sondern zu amerikanischem Rock’n'Roll zu tanzen. Immerhin hat der Konzertsaal etwas von diesen Turnhallen, in denen in amerikanischen Filmen immer die Abschlussbälle stattfinden, was recht gut zu dieser uramerikanischen, sehnsüchtigen Musik passt. Und groß ist der Saal! Und voll! Gemessen daran, dass man beim Erwähnen des Namens “The Gaslight Anthem” meist in leere Augen blickt, hat die Band es anscheinend zu ziemlich großer Beliebtheit gebracht.
Eingeleitet wird der Abend von gleich zwei Vor-Acts, was sich als Fluch oder Segen herausstellen kann. Die Wahrheit liegt irgendwo dazwischen. Respektabel, wie Dave Hause allein mit seiner E-Gitarre den Lärm einer ganzen Band erzeugt, seine irgendwo zwischen Frank Turner und Dashboard Confessional angesiedelten Songs sind jedoch eine Spur zu gleichförmig, was noch durch Daves wenig variablen Gesang unterstrichen wird. Ganz anders hingegen Blood Red Shoes, von denen mir vor Jahren mal ein Album sehr gut gefallen hat, die aber dennoch wieder völlig von meinem Radar verschwunden waren. Auf der Bühne: eine Gitarristin / Sängerin, ein Schlagzeuger / Sänger und ganz viel geiler Irrsinn. Mancher scheint überfordert mit dieser messerscharfen, sexy Musik, aber ich und ein paar andere sind begeistert. Alleine für die beiden hat sich das Ticket gelohnt.
Nun steht also nicht nur die Frage im Raum, wie sich Gaslight Anthem schlagen werden, sondern auch, ob sie sich die Show von ihrer Vorband stehlen lassen. Ungewöhnlich ist auf jeden Fall schon mal, dass sie das Set mit “Mae” eher verhalten eröffnen. Dies’ entpuppt sich allerdings als psychologisch ausgebuffter Kniff, weil so der “’59 Sound” umso druckvoller kommt, während man im Hintergrund das “Gaslight Anthem”-Banner entrollt. Der Saal: tobt. Na gut, er tobt so sehr, wie kühle Hamburger an einem deprimierenden Herbsttag eben toben können. Leider wird der Moshpit nie mörderisch genug, um die nervigen Bierverkäufer mit ihren Riesenrucksäcken, Fähnchen und Taschenlampen zu zermalmen. Und doch: wir haben Spaß. Es bleibt spaßig bis zum Schluss. Die Band hat einfach zu viele große Songs in petto, als dass es anders sein könnte. Zur Auflockerung werden zwischendurch Menschen-Pyramiden gebildet und dem Drummer ein Geburtstagsständchen gesungen. Lustig auch die Horde Halbstarker, die mit freien Oberkörpern und Tränen in den Augen “Here’s Looking At You, Kid” mitgröhlt. Sänger Brian Fallon hatte ja “Something to cheer you up” angekündigt.
Kurz gesagt: ein schöner Abend mit einer Band, die zwar ohne charismatische Frontschweine auskommen muss, aber gerade deswegen den Eindruck einer eingeschworenen Gang macht, ganz im Dienste der Songs. Manchmal hätte ich mir etwas weniger routinierte Lässigkeit und ein bisschen mehr Wahnsinn gewünscht, was besonders durch den Kontrast zu Blood Red Shoes auffiel. Leider habe ich den Zeitpunkt verpasst, da man die Gruppe noch in kleinen Venues erleben durfte, als sie noch hungriger war und ein Quentchen mehr Punch hatte. Oh, wie ist das schön, auf so hohem Niveau jammern zu dürfen!