Quengelexemplar

Gewohnheiten, Gewohnheiten. Jeden Abend setze ich mir erstmal hin und poliere meine Gewohnheiten. Die alten Gewohnheiten glänzen am meisten, weil gewohnte Gewohnheiten mir die liebsten sind. Umso spektakulärer, wenn vor diesem grau-grauen Hintergrund neue Pflänzchen zart erblühen. Es erblühen… Trommelwirbel!… Kochen und Radio hören. Ja, das Leben bleibt spannend. In meinen bevorzugten Radiosendern schwätzt man möglichst klug daher und spielt gerne 10 Minuten lange Coltrane-Stücke. Auch beim Kochen reizt mich Herausforderndes. Alles ist herausfordernd. Ich brauche ewig. Den ganzen Samstag verbringe ich mit Einkaufen, Schnippeln, Abwiegen, Abmessen, Braten, Kochen, Umrühren. Das Ziel: ein wahnwitzig komplexes Chili con Carne – Zutaten u.a.: Bier, Kaffee, Backkakao! Normale Menschen hätten es bestimmt geschafft, nebenbei noch den Haushalt zu machen. Mit gelingt es lediglich, nebenbei den Haushalt zu verwüsten. Aber mir gelingt auch das Essen. Ein triumphales Gefühl, an das ich mich möglichst schnell gewöhnen will.

Ein Werbespot. Businessfrau Nummer Eins steht im Rush-Hour-Stau, es regnet, sie schaut sehnsüchtig aus dem Fenster. Szenenwechsel. Businessfrau NUmmer Zwei wartet mit Trolley am Bahnsteig, ihre Augen sprechen von existenziellen Nöten. Szenenwechsel. Businessfrau Nummer Drei hält es nicht vor ihrem Computer-Monitor, traumtänzerisch läuft sie zum Panoramafenster, aus dem sie dann ihren Blick schweifen lässt. Genau so macht es – Szenenwechsel – Businessfrau Nummer Vier in ihrem anonymen Hotelzimmer. Szenenwechsel. Businessfrau Nummer zwei schaut nicht unbedingt glücklicher aus der Wäsche, als der Zug vor ihr zum Stehen kommt und wenig einladend seine Türen öffnet. Da durchfährt es sie wie ein Blitz. Beherzt schnappt sie sich ihren Trolley und eilt von dannen, wohin? In die Arme ihres Liebsten? Nein, in ihre leere, aber dafür in warmen Farben erstrahlende Wohnung, komplett eingerichtet mit den Produkten des Hochglanzmöbelhauses, das mit diesem Spot beworben werden soll. Endlich kann Businessfrau Nummer Zwei durchatmen.

Steffi dazu: “Weißte, was das Lustige daran ist? Die hätte gar nicht diese Wohnung, wenn sie nicht die ganze Zeit rumreisen würde. Deswegen muss sie gleich nämlich doch wieder zum Bahnhof. Und dann muss sie sich bei ihrem Meeting noch für die Verspätung entschuldigen!”